Im Oktober 1988 hatte ich gerade meine Grundausbildung hinter mich gebracht und wurde in Hamburg-Fischbek in der (ehemaligen) Röttiger-Kaserne stationiert. Dort konnte ich oft in der dahinterliegenden Fischbeker Heidelandschaft trainieren und habe in dieser Zeit die Gegend lieben gelernt. Nachdem ich zur Jahrtausendwende meinen Wohnsitz von Westfalen in den Hamburger Speckgürtel verlegt hatte, ließ ich die alte Liebe wieder aufleben und war mehrmals pro Jahr läuferisch in der Heide unterwegs. Ich gehe sogar so weit, dass ich das Fischbektal und die angrenzenden Rampen als mein läuferisches Wohnzimmer bezeichnen würde, wo ich mich trotz vieler Strapazen immer sehr wohl gefühlt habe.
Vor 14 Tagen
Zwei Wochen zuvor hatte ich die glorreiche Idee, meine Form zu testen und mal wieder ein paar Höhenmeter auf dem
Elbhöhenweg zu sammeln. Das klappte auch ganz prima bis zu dem Moment, als aus einer Unachtsamkeit heraus mein rechter Fuß an einem Stein hängenblieb und ich ungebremst mit der Kniescheibe auf den Boden geknallt war. Humpelnderweise beendete ich die Einheit und war mir nicht sicher, ob das Knie was abbekommen hatte oder nicht. Nun gut, einen Testlauf später war ich bereits positiv gestimmt und auch die Belastung beim
MOPO-Team-Staffellauf war ok.
Das Wort zum Sonntag
Nachdem ich mir dann aber beim Staffellauf auch noch eine Wadenverhärtung eingefangen hatte, wurde die Tage vorm Wettkampf viel geknetet und gebetet. Was letztendlich dazu geführt hat, dass ich heute an der Startlinie stehen konnte, kann ich nicht mit Gewissheit sagen. Daher nehme ich jetzt einfach
den 1. Johannes 5, Vers 14-15 in Anspruch und bin damit fein für mich :-)
Der Lauf selbst
Vom Rosengartenlauf hatte ich bereits 2019 gehört und war da schon angefixt. Leider passte es in dem Jahr nicht rein und die Folgejahre wissen ja alle, was los war. Ach ja, 2021 war ich nicht in Form und wollte daher nicht teilnehmen. Aber 2022 war jetzt fest eingeplant und als ich bei der Anmeldung auch noch sah, dass die etwas härtere Halbmarathonvariante X-TREME 400 u.a. durch das o.g. "Wohnzimmer" verlief, musste die Anmeldung unbedingt raus. Die 400 Höhenmeter schockten mich nach absolviertem
Hochsauerlandlauf nicht wirklich, nur die körperlichen Einschränkungen bewegten mich dazu, eine Exit-Strategie vorzuhalten, sollte das eine oder andere Körperteil seinen Dienst versagen wollen. Die Strategie war, dass ich mir die Strecke ausgedruckt und in die Uhr gespeichert hatte, um ggf. aussteigen zu können und auf direktem Weg wieder zurück zum Start/Zielbereich kommen zu können. Frei nach meinem Motto "Lieber auf dem Feld zerbrechen, als im Schuppen verrosten".
Der Thomas
Am Wildpark Schwarze Berge angekommen suchte ich mir einen Parkplatz, der glücklicherweise keine 50 Meter vom Start entfernt war. Nach dem Abholen der Startnummer ließ ich mich noch ein wenig von dem unterhaltsamen Moderator berieseln, der die Starts und Zieleinläufe kommentierte, bevor ich mich zum Warmlaufen aufmachte. Als sich alle an der Startlinie sammelten, gesellte ich mich zu Thomas, den ich bereits in der Wartezone gesehen hatte. Thomas ist ein sympathischer Typ, seines Zeichens Initiator der
Facebookgruppe Norderstedt läuft, bei der ich
in 2018 bei eisigem Wind knapp 30 Kilometer im Rahmen eines 6h-Laufes mitrennen durfte. Heute hatte er reduzierte Ambitionen und rechnete (ähnlich wie ich übrigens) mit einem 7er Schnitt.
Die ersten 10 Kilometer
Um 10:45 Uhr wurden 90 X-TREME-Halbmarathonis auf die Strecke geschickt. Der erste Kilometer verlief noch durch Alvesen mit einem kurzen Stück Asphalt, danach tauchten wir bis zum Ende des Laufes in die Natur ein und sahen keine Zivilisation mehr. Im Wald angekommen ging es auch gleich zur Sache. Die erste Steigung wartete bereits auf uns und ließ weitere folgen. Es war ein ständiges auf und ab, häufig auf holperigen, wurzeldurchzogenen Trails oder zur Abwechslung auch mal über Sand. Man konnte froh sein, wenn auch mal eine Passage "normaler Waldweg" dabei war. Das dauerte aber oft nicht lange, dann bog es schon wieder zur nächsten Rampe in den Wald ab.
So liefen wir unsere Kilometer durch den Staatsforst Rosengarten und ich musste immer wieder erstaunt feststellen, dass mir fast alle Streckenabschnitte bekannt vorkamen. Das liegt daran, dass diese Gegend ein bevorzugtes Wandergebiet für meine Frau und mich ist und wir hier schon viele Kilometer in unterschiedlichster Kombination durchgestiefelt sind. Beim zweiten Verpflegungspunkt mogelte sich Thomas an mir vorbei und stürzte sich todesmutig die Hänge hinunter. Ich versuchte ihm so gut es ging zu folgen, lief aber hochkonzentriert und etwas vorsichtig, um nicht wieder einen Abgang zu machen.
Hintereingang zum Wohnzimmer
Bei Kilometer 10 bog die Strecke links ab ins Fischbektal und ließ uns quasi durch die Hintertür mein Wohnzimmer betreten. Am Kuhteich vorbei kenne ich fast jeden Quadratzentimeter persönlich. Daher wusste ich recht gut, was auf uns zukam. Thomas hatte ich schon länger hinter mir gelassen und driftete durch ein lila Heideblütenmeer. Dem Volksmund nach blüht zwischen dem 8.8. und dem 9.9. die Heide und wir waren gerade mittendrin. Das Setting war echt genial, hatte allerdings den kleinen aber entscheidenden Nachteil, dass hier in der Heidelandschaft oft auf Schatten verzichtet werden muss. Und wenn es dann mal schattig wurde, wie z.B. kurz vor Kilometer 12, dann stemmt sich gleich eine Rampe von der fiesesten Art in den Weg. Hier konnte wirklich niemand laufend hochkommen und meine Oberschenkel waren hier kurz vorm Versagen.
Lila Dröhnung
Aber nachdem man das überstanden hatte, tat sich die komplette Weite der Fischbeker Heide vor einem auf. Ich kam aus dem Schwärmen kaum noch heraus. Ich fand es genial gewählt, dass unsere Startnummern die gleiche Farbe wie die Streckenschilder und die Heideblüten hatten. Das passte echt Ton in Ton. Die Strecke führte uns entlang des Segelflughafens und Kilometer 14 war exakt das Teilstück, was ich bereits damals vor 34 Jahren immer Freitagsvormittags mit den Kameraden meiner Batterie laufen durfte. Wahnsinn. Gut, dass hier an zentraler Stelle ein Verpflegungsstand aufgebaut war, der mehrfach angesteuert wurde, denn die Sonne knallte hier ordentlich rein.
Die Segelflieger links liegen lassend stürzten wir uns einen wurzeldurchzogenen, steilen Trail hinunter, als Thomas sich wieder meldete. Er meinte, er hätte erst noch eine Grillparty organisieren und ein im Sand steckendes Handy aufsammeln müssen. Das erste hab ich ihm nicht abgenommen, aber das Handy hatte ich auch gesehen, wollte mich aber bei der Quälerei nicht noch unnötigerweise bücken. So schleppte er es halt mit sich rum und fing auch noch an, mir langsam aber stetig davonzueilen. Ich fühlte mich so schlapp, dass ich ihn ziehenlassen musste.
Warum tue ich mir das an?
Immer häufiger fragte ich mich jetzt nach der tieferen Sinngebung meines Tuns. Die sengende Sonne hatte mir echt den letzten Zahn gezogen. Wenigstens wurde es an der Freiluftschule vorbei wieder schattiger, so dass die Lebensgeister ganz langsam wieder zurückkamen. Den Part bei Kilometer 18 fand ich ausgesprochen interessant, da der Singletrail hier so durchs Unterholz führte, dass man an einen Urwald erinnert wurde. Kurz vor Kilometer 19 hatte ich Thomas wieder eingeholt und wir kämpften uns durch eine Herde von Heidschnucken. Als es dann aber rechts in praller Sonne parallel zum Falkenbergweg auf einen Trampelpfad ging, musste ich Thomas wieder ziehen lassen und hatte hier auch die Hoffnung aufgegeben, ihn jemals wiederzusehen.
Zieleinlauf
Langsam schlurfend trabte ich weiter, freute mich, Kilometer 20 zu passieren und kam an eine Stelle, die mir wieder gut bekannt war. Ein Läufer vor mir wurde langsamer und er ließ mich passieren, als es links ab einen kleinen Stich runterging. Das motivierte mich und ich versuchte, den Schwung mitzunehmen. Und plötzlich lief Thomas wieder vor mir und ich konnte ihn einholen. Ich fragte ihn, ob wir dann gemeinsam in Ziel laufen wollten und meine, ein leichtes Nicken im Augenwinkel gesehen zu haben. Zu mehr war er nicht mehr in der Lage, da es etwa 100 Meter vor dem Ziel noch einmal richtig fies bergan ging und ich meine Beine kaum noch bewegt bekam. Aber jede Steigung hat mal eine Ende und so trabten wir Schulter an Schulter zeitgleich ins Ziel.
Fazit
Die Veranstaltung ist der absolute Hammer. In mehrfacher Hinsicht. Die Strecke ist genial schön, aber auch hammerhart. Der Veranstalter HNT in Zusammenarbeit mit dem Wildpark Schwarze Berge und dem Regionalpark Rosengarten haben einen super Job gemacht, sowohl im Start-/Zielbereich als auch bei der Streckenauswahl und Beschilderung. Und der Webauftritt lässt für mich keine Wünsche offen. Für mich glatte 5 von 5 Punkte!
Ich für meinen Teil bin auch zufrieden. Die Wade und das Knie haben durchgehalten, das Hirn ist abgefüllt mit tollen Impressionen und mit Thomas mal wieder einen Lauf zu machen war das Sahnehäubchen obendrauf. Grüße nach Norderstedt und bis zum nächsten Mal :-)
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Streckenkarte [Anklicken für Details]Daten von OpenStreetMap - Veröffentlicht unter CC-BY-SA 2.0HöhenprofilQuelle: Runalyze.com