Ich bin ein Wiederholungstäter. Vermutlich wie viele meiner laufenden Artgenossen, die ihre Leidenschaft ernsthafter betreiben. Oder wie der Hund, der sich wiederholt seinem Erbrochnen zuwendet. Auch dann, wenn (oder vielleicht auch weil) es manchmal anstrengend ist oder weh tut.
Flashback 19. Januar 2019
Meine erste Herz-OP liegt nun ein gutes Vierteljahr hinter mir und der Crosslauf vor zwei Wochen hatte gut geklappt. Ich stehe an der Startlinie und bin aufgeregt, weil die Kurzstrecke vor mir liegt. Es knallt, das Feld stürmt los und ich mittendrin. Die erste Steigung beginnt und ich denke, hoffentlich bleibt die Pumpe im Takt. Aber bevor ich die Spitze erreicht habe, spüre ich das altbekannte Stolpern in der Brust, verlangsame, versuche den Puls runterzubekommen, was mir aber nicht gelingt und drehe enttäuscht ab Richtung Startbereich.
Dort wartet eine dreiviertel Stunde später mein zweiter Versuch: die Langstrecke. Meine Herzfrequenz hat sich zwischenzeitlich wieder beruhigt und ich starte mit der Hoffnung, dass das niedrigere Tempo das Stolpern verhindern möge. Trotzdem bin ich wieder aufgeregt und versuche deutlich vorsichtiger den ersten Anstieg. Aber auch das nützt nichts. Kurz vor der Kuppe meldet sich die Herzrythmusstörung ein zweites Mal, zudem noch deutlich länger als vorhin. Ich probiere es im Schritttempo, beobachte die vorbeitreibende Läufermasse im Augenwinkel, fange mir ein, zwei unbedarfte Sprüche ein und breche dann auch diesen Versuch enttäuscht ab.
Eine Woche vor heute
Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, die Wettkampfstrecke vorab unter die Füße zu nehmen. Quasi zum Eingrooven. Geplant ist, die erste Rampe, meinen persönlichen Heartbreak Hill, ein paar Mal hochzulaufen, um das optimale Tempo für mich herauszuarbeiten. Die ersten zwei Versuche schaffe ich in 1:32 Minute, den dritten in 1:34 Minute. Währenddessen merke ich, dass ich mich schon ziemlich quälen muss bzw. dass mir das Quälen heute überhaupt keinen Spaß macht. Daher breche ich meine "Bergsprints" ab und laufe in moderatem Tempo die originale Distanz und noch ein paar weitere Schlenker. Das schlechte Gefühl buche ich unter "Nachwirkungen vom letzten Crosslauf" ab und beschließe, die Rampe eher 10 Sekunden langsamer hochzulaufen, um dann für die folgenden 3 Kilometer mehr Reserven zu haben.
Zurück im jetzt
Mit den Gedanken ans letzte Jahr reise ich an und treffe im Volkspark auf Heidi, die bereits die Mittelstrecke als ersten Lauf des Tages hinter sich gebracht hat. Ich erzähle ihr von meinen Erlebnissen hier vor einem Jahr und freue mich über ihre aufmunternden Worte. Heidi ist echt klasse. Das hat sie wirklich gut drauf, immer das Positive zu sehen.
Zusammen mit ihr schlendern wir fünf vor zwei Richtung Startbanner. Heidi sortiert sich weiter hinten ein, ich positioniere mich in Reihe drei, die aufgrund der ranströmenden Mitstreiter schnell zu Reihe sechs oder sieben wird. Mir ist trotz der 6°C ganz schön warm und schiebe die Ärmel meines Langarmtrikots bis zu den Ellenbogen rauf. Aber ich bin herrlich entspannt. Kein Vergleich zu der Aufregung im letzten Jahr. Und ich freue mich auf den Lauf, der ganz plötzlich beginnt, als mich der Startschuss aus meinen Gedanken reißt.
Reihe sieben hilft mir, nicht wie ein Bekloppter loszusprinten, sondern ein moderat-zügiges Tempo einzuschlagen. Fast schon reflexhaft drücke ich beim Passieren "meines Baumes" am Fuß des Heartbreak Hills den Splitbutton der Uhr und versuche, so hochzukommen, wie ich es mir vorgenommen hatte. Möglichst entspannt, aber nicht bummelig und ohne Schnappathmung bis zur ersten Kuppe. Druck auf den Knopf unten rechts, schneller Blick aufs Display: 1:29 Minute. Hoppla, sogar drei Sekunden schneller als letzten Sonnabend. Und ich fühle mich luftmäßig wie ein junger Gott... näherungsweise...
Aber abwarten, nach der kurzen Senke kommt ja noch ein kleiner Rest an Steigung, den ich bei "meinen Bergsprints" geflissentlich ignoriert hatte. Auch den komme ich mit kurzen schnellen Schritten prima hoch, schnaufe kurz durch und kann die folgenden abfallenden 500 Meter sogar leichten Druck halten. Beim Bergablaufen sehe ich, dass der erste Kilometer bei 4:42 Minuten passiert wurde. Passt.
Der nach dem Gefälle folgende Kilometer hat es ebenfalls in sich. Etwa 20 Meter geht es hoch, zuerst ein bisschen kräftiger, danach leichter aber stetig. Ich versuche weiterhin, genug Sauerstoff in meine pumpenden Lungen zu bekommen und dosiere mein Tempo entsprechend. Weiterhin bin ich erstaunt, wie gut mir die Balance zwischen Druck machen und Sauerstoffnot gelingt. Demzufolge passiere ich trotz Steigung Kilometer 2 in 4:32 Minuten.
Wenn der höchste Punkt auf diesem Teil passiert wurde, wird es angenehmer. Ich lasse es laufen, biege links ab Richtung Stadion und registriere kurz vor dem Tutenberg-Rondell erneut eine 4:32 auf meiner Uhr. Wie im Tunnel umrunde ich das Rondell und biege rechts auf den matschigen Singletrail. Die vor mir Laufenden haben einen ordentlichen Vorsprung, hinter mir höre ich niemand in meiner Nähe, so dass ich ungefährdet den kleinen steilen Abhang hinunterstürzen, die Straße überqueren und wieder hoch bis zur Holzhütte kraxeln kann.
Ich höre Stimmen hinter mir und gebe den Abhang hinunter zur Zielgeraden ein wenig Gas, um den Abstand zu halten. Das klappt wunderbar, der Applaus der Zuschauer motiviert zusätzlich und lässt den Endspurt bis zum Ziel erträglicher sein. 16:30 Minuten bleiben im Ziel für mich stehen. Damit bin ich zufrieden, insbesondere weil ich den Lauf so gut dosiert hinbekommen habe. Das macht Bock auf den nächsten Crosslauf in Sülldorf.
Streckenkarte (Anklicken für Details)Daten von OpenStreetMap - Veröffentlicht unter CC-BY-SA 2.0Höhenprofil Kurzstrecke