Sauer inspiriert
[von Bernd Hegemann]
Disclaimer vorweg: in diesem Bericht geht es ausnahmsweise mal nicht ums Laufen und nicht um schnelle Zeiten oder spezielle Wettkämpfe, sondern um mehrtägiges Radfahren im Genussmodus. Wer das interessant findet, kann gerne weiterlesen :-)
Vor etwa zwei Jahren hatte ich nach der Inhalation
eines Videos der Bergfreundinnen mit meiner Frau über die Option mehrtägiger Radtouren philosophiert, da wir bislang immer nur eintägige Touren kannten. Da wir uns auf einen gemeinsamen Nenner einigen konnten, starteten wir klein mit einer zweitägigen Umrundung von Hamburg inklusive einer Hotelübernachtung. Und weil es uns so gut gefallen hatte, folgte kurz danach eine weitere Umrundung in die andere Richtung auf anderer Strecke.
In diesem Jahr steigerten wir im Sommerurlaub das Pensum und trauten uns bereits an vier Tage im Sattel heran, an denen wir im Juni
den Ochsenweg unsicher machten. Kurze Zeit später vollendete
Uli Sauer seine
Deutsche Grenzerfahrung, die ich seit seinem Start Anfang 2022 verfolgt hatte. Dabei war seine Zielsetzung, Deutschland einmal komplett an seinen Grenzen mit dem Rad zu umrunden.
Ulis Aktion war daher Inspiration für mich und dabei heraus kam die Idee, mit meiner Frau zusammen Schleswig-Holstein an seinen Grenzen zu umfahren, da wir dort leben und so das Land noch besser kennenlernen können. Getauft habe ich das Projekt "SH-Rounding" und gestartet werden sollte in unserem Herbsturlaub über fünf Etappen, so denn das Wetter einigermaßen vorhersehbar gut sein sollte.
Denn eine unserer Prämissen ist, dass wir nicht losfahren, wenn es angekündigt Hunde und Katzen regnen soll. Mal ein Schauer wäre noch ok, aber auf stundenlanges Fahren im Regen haben wir einfach keinen Bock. Das hat für uns nichts mit Genuss zu tun. Eine weitere Prämisse ist, dass wir nicht mit dem Zelt unterwegs sind, sondern ein Hotel zur Übernachtung nutzen wollen.
Untenstehend einmal eine Übersicht der geplanten Strecken:
Tag 1: Von Pinneberg über Wedel nach Brunsbüttel (71 km)

Zunächst mussten wir von unserem Wohnort Pinneberg an die Grenze Schleswig-Holsteins kommen. Dafür bot sich Wedel an, welches wir über den Forst Klövensteen zügig in gut 10 Kilometern erreichen konnten. Danach führte uns der Track immer am Deich längs parallel zur Elbe. Jeder, der hier schon mal unterwegs war, weiß, wie herausfordernd das ständige "Törchen auf, Törchen zu" sein kann. Allenfalls unterbrochen von gelegentlichem Schafscheisse-Slalom. Aber darauf waren wir eingestellt, da wir hier schon des öfteren unterwegs waren.
In Glückstadt verließen wir kurz die Strecke und pausierten in der Stadt, um unsere Depots wieder aufzufüllen. Glückstadt ist ein echt nettes Städtchen, was mir immer wieder gut gefällt, wenn ich es besuche.

Kurz vor Brokdorf verließen wir versehentlich den Weg am Deich entlang und fuhren parallel auf einer Landstraße, die uns direkt am Kernkraftwerk entlang führte, welches Ende 2021 endgültig abgeschaltet wurde. Trotzdem hab ich immer noch ein mulmiges Gefühl, wenn ich mir den riesigen Betonklotz ansehe.
Fünf Kilometer vor dem Ende der ersten Etappe war dann auch der schöne Blick auf den Deich beendet und tauschte sich gegen Anlagen des Brunsbütteler Indurstriegebietes Süd und des ehemaligen Kernkraftwerkes. Optisch nichts erbauliches, aber unser Track führte nun mal dort lang.

Was für mich ein kleines Highlight war, war die Überquerung des Nord-Ostsee-Kanals mit einer Fähre. Dank Kaiser Wilhelm ist die Überfahrt auf die andere Seite seit Errichtung der künstlichen Wasserstraße Ende des 19. Jahrhunderts kostenfrei. Da hat mal einer perspektivisch mitgedacht.
Untergebracht waren wir im River Loft Hotel, was sich im Nachhinein als die beste Unterkunft der ganzen Tour herausstellte. Nicht ganz günstig in der Übernachtung, aber wenn man aufgrund unserer oben genannten Prämissen sehr kurzfristig bucht, muss man mit dem Vorlieb nehmen, was der Markt bzw. das Internet hergibt. In Schulnoten ausgedrückt bekommt das Hotel auf jeden Fall eine glatte 1 aufgrund der Gemütlichkeit, Sauberkeit und des tollen Service. Ähnlich gut war unser Abendessen im angeschlossenen Restaurant Outer Roads. Das war schön praktisch, da man vom Hotelzimmer über ein paar Treppen rüberhuschen konnte.
Tag 2: Von Brunsbüttel nach Büsum (62 km)

Nach einer erholsamen Nacht brauchten wir etwas zu Essen, was wir uns aber wegen der aufgerufenen 19 Euro pro Person im River Loft Hotel sparten. Irgendwo muss auch mal gut sein. Stattdessen kurbelten wir ums Eck zu Kalle Bäcker. Der Laden gehört zu einer kleinen, sympathischen Bäckerei-Kette, die in den Kreisen Dithmarschen, Nordfriesland und Steinburg ihr Filialnetz aufgespannt hat. Hier kostete ein Frühstück für zwei Personen etwas weniger als im Hotel eine Person gezahlt hätte.
Danach ging es frisch gestärkt los. Die erste Hälfte der Strecke passierten wir "kooge" Ortschaften, angefangen von Neufelderkoog bis hoch nach Friedrichskoog. Kennzeichend für diesen Part war der ständige Kohldampf, den wir in der Nase hatte. Zahlreiche Felder mit den unterschiedlichsten Kohlarten und anderen Feldfrüchten säumten unseren Weg, während die Ernte in vollem Gange war.

In Friedrichskoog-Spitze, dem westlichsten Zipfel am heutigen Tag, angekommen, durften wir gleich mal eine Ehrenrunde drehen, weil aufgrund von Bauarbeiten die Strecke gesperrt und unserer Meinung nach auch nicht wirklich eindeutig gekennzeichnet war. Jedenfalls war der nördliche Teil des Strandweges für uns nicht erreichbar, weswegen wir innerlandig auf die Koogstraße ausweichen mussten. Glücklicherweise stand dadurch am Ende nur ein Kilometer mehr auf dem Tacho, was verzeichlich war.

Die zweite Hälfte des zweiten Tages firmierte unter dem Label "Deichautobahn". Es war herrlich, auf den breiten Wegen am Deich längs zu fahren. Nahezu unbehelligt von motorisierten Verkehrsteilnehmern und auch die Anzahl an Radtouristen war verschwindend gering. So mögen wir es und definieren so das, was wir unter Freiheit verstehen.
Zum Ende unserer Etappe steuerten wir mit dem Büsumer Dorfkrug unsere zweite Unterkunft an. Das Hotel hält dem Vergleich mit dem gestrigen nicht stand. Aber es ist trotzdem moderner, als es der etwas angestaubte Name vielleicht suggerieren mag. Für uns war alles da, was wir brauchten. Ein bequemes Bett, ein sauberes Bad, Fernsehen und W-LAN natürlich :-). Schulnote: eine solide 2, da preislich gut und Frühstück inklusive.
Zum Essen ging es ein paar Schritte durch die Innenstadt. Kulturschock inklusive. Die Massen an Touristen, die sich durch die Fußgängerzone schoben, verursachten bei uns leichte Beklemmungen. Kein Wunder, wenn man den ganzen Tag nahezu menscheitsabstinent unterwegs ist. Entschädigt wurden dann aber vom Golden Bay Restaurant, das vietmanesische Spezialitäten anbietet. Wow, das Essen war wirklich sehr lecker und der Service echt klasse.
Tag 3: Von Büsum nach Welt (62 km)

Die Streckenführung am dritten Tag wirkt vielleicht ein wenig komisch, weil das Ende innerlandig liegt. Aber bei der kurzfristigen Buchung musste ich nehmen, was es gab und da bot sich das mir bis dahin unbekannte Örtchen "Welt" an.
Doch zunächst ging es für uns aus Büsum raus wieder am Deich längs. In schwacher Erinnerung hatte ich aus einem vergangenen Besuch hier Anfang der 2000er, dass mitten auf dem Deich ein hässliches Hochhaus stand. Und genau dort führte uns auch der Track entlang, weswegen ich das Ding auch unbedingt ablichten musste.

Bis Kilometer 9 konnten wir den herrlichen Blick aufs Wattenmeer genießen, als uns ein freundlicher Bauarbeiter aufmerksam machte, den von uns eingeschlagenen Weg besser zu verlassen und eine Umleitung über das Hinterland von Westerkoog zu fahren. Gesagt, getan. War ja nur ein kleiner Umweg mit zusätzlichen 3 Kilometern.
Wieder zurück am Deich baute sich nach knapp 20 Kilometern das Eider-Sperrwerk vor uns auf. Kein Vergleich zu dem Pinnau- und Krückau-Sperrwerk, die wir zu Beginn unserer Reise passiert hatten. Das hier war um einige Größenordnungen mächtiger. Sinn und Zweck dieses Konstruktes ist es, das Land vor Sturmfluten aus der Nordsee zu schützen. Ich fand es sehr beeindruckend, darüber zu fahren und das Rauschen des Wassers unter mir zu hören.
Knappe zehn Kilometer später haben wir uns gehörig verfranst. Auf der "falschen" Deichseite fahrend hatte ich nicht mitbekommen, dass der Track abbog und so bekamen wir nach den 3 Kilometern von Westerkoog noch weitere 5 Kilometer Umweg aufgebrummt. Mein Fehler, der nur dadurch korrigiert werden konnte, das wir umkehrten und den Einstieg auf die "richtige" Deichseite suchen mussten. Nachdem das erledigt war, wurden wir wieder mit einer grandiosen Wattlandschaft in strahlendem Sonnenschein beschenkt. Herrlich.
Unsere Euphorie kam schlagartig zum Erliegen, als wir uns St. Peter Ording näherten und fast explosionsartig die Zahl der Menschen um uns herum nach oben schoss. Sowohl auf Fahrrädern, meist dick eingemummelt auf E-Bikes, aber auch zu Fuß bevölkerten die Touristen die Botanik. Daher waren wir froh, als wir uns bei Norderdeich ins Landesinnere verdrücken konnten.
Drei Kilometer südlich von Garding liegt das verschlafene Örtchen Welt mit weniger als 200 Einwohnern. Für mich dahingehend interessant, da ich hier mit dem Möllner Hof unsere Unterkunft des dritten Tages buchen konnte. Der Möllner Hof sieht von außen nicht unbedingt einladend aus. Mehr wie ein Bauernhof. Aber die Räumlichkeiten im Inneren sind vollkommen ok und für unsere Zwecke ausreichend. Wie im Dorfkrug in Büsum ein bequemes Bett, sauberes Bad, Fernsehen und natürlich W-LAN ;-). Auch hier war der Preis in Ordnung und das Frühstück inlusive, daher ebenfalls eine solide 2 als Schulnote.

Das hofeigene Restaurant konnten wir leider nicht nutzen, da Ruhetag, weswegen wir uns noch mal auf die Räder schwingen mussten, um ins benachbarte Garding zu fahren. Dort ließen wir uns im Pane Vino bei italienischer Pasta und anschließendem Tiramisu verwöhnen. Demzufolge war der Rückweg zum Hotel einigermaßen beschwerlich, wurde aber von einem herrlichen Sonnenuntergang begleitet.
Tag 4: Von Welt nach Husum (61 km)

Nach einem leckeren Frühstück im Möllner Hof brachen wir auf Richtung Husum. Zunächst lief es gut bis Kilometer 11, als uns wieder ein Baustellenschild stoppte und zum Umplanen zwang. Ein Umweg, der uns zusätzliche 4 Kilometer auf den Tacho brachte, war schnell gefunden und bald stießen wir am Tümlauer Koog wieder auf unsere geliebte Deichstraße. Um den westlichsten Zipfel rund um Westerhever war noch alles paletti, bis...
Ja, die Wettervorhersage war die, dass neben dem weiterhin andauernden Sonnenschein der Wind etwas stärker werden und aus östlicher Richtung kommen sollte. Vorher war er eher schwach aus Nord. Und in genau diese Richtung mussten wir jetzt noch über 30 Kilometer strampeln. Das war für uns, die wir das gar nicht gewohnt waren, richtig heftig. Ich klemmte mich vor Michaela, um ihr so gut es ging, Windschatten zu spenden und weiß letztendlich nicht mehr genau, wie wir diese Quälerei überstanden haben.

Seis drum, irgendwann erreichten wir mit glühenden Knien Husum. Die Einfahrt entlang der Kläranlage und dem Industriegebiet entlang der Husumer Au war nicht sonderlich erbaulich, währte aber nur kurz, denn schon am Husumer Hafen waren wir optisch wieder versöhnt.
Aber nur bis zu dem Zeitpunkt, als wir in unsere Unterkunft eincheckten. Ich hatte gedacht, aus preislichen Gründen mal ein Hostel auszuwählen. Aber das war letztendlich ein echter Griff ins Klo und ich bin heilfroh, dass meine bessere Hälfte danach nicht die Scheidung eingereicht hat. Wir sind halt aus dem Alter raus, wo ein Gemeinschaftsraum mit Küche und ein geteiltes Bad auf dem Flur einen gewissen Reiz ausmachen, hauptsächlich im Portemonnaie.
Etwas besänftigen konnte ich Michaela durch das Essen im Blinkfuer, einem gemütlichen Restaurant mit leckeren Nettigkeiten und unterhaltsamer Bedienung. Danach hatte meine Frau noch die geniale Idee, mangels Fernseher einfach das Husumer Kino auszuprobieren. Da war es wenigstens warm, denn in unserem Zimmer fehlte nicht nur die begehrte Unterhaltungselektronik, sondern auch eine funktionierende Heizung. Eine Benotung spare ich mir übrigens an dieser Stelle und sollte selbsterklärend sein.
Die Idee mit dem Kino war wirklich gut, nachteilig war allerdings die Wahl des Programms. Hätten wir mal das Kanu des Manitu gewählt, dann hätten wir vielleicht noch den ein oder anderen Lacher mitnehmen können. So entschlossen wir uns für den gerade neu angelaufenen "One Battle After Another" und wären schon nach 10 Minuten am liebsten geflüchtet, wenn es nicht so schön warm gewesen wäre. So ertrugen wir die absurde Handlung des dargebotenen Streifens mit innerem und äußerlichen Kopfschütteln und waren froh, als das Elend endlich vorbei war.
Tag 5: Von Husum nach Langenhorn (Schlesw.) (56 km)

Um 6:30 Uhr am nächsten Morgen schälten wir uns aus dem unkomfortablen Dreier-Etagenbett (unten zwei/oben einer, aber unbelegt) und sahen zu, dass wir zügig das Etablissement verlassen konnten. Das nahegelegene Cafe Lassen öffnete um 7 und wir gönnten uns erstmal eine kleine Stärkung. Danach ging es los auf unsere Abschiedsetappe.
Die Strecke hatte ich absichtlich so geplant, da Uli
in seinem Bericht schrieb "
Die ursprünglich geplante Runde über die Insel Nordstrand kürze ich ab. Leider. Bei schönem Wetter wäre das heute die absolute Traumtour.". Nordstrand kannte ich noch nicht mal vom Namen und eine Traumtour wollte ich uns auf jeden Fall nicht entgehen lassen.
Nach 10 Kilometern hatten wir die Halbinsel erreicht und genossen ein weiteres Mal den weiten Blick über das Wattenmeer und den Sonnenschein. Leider viel zu schnell hatten wir Nordstrand passiert. Das hätte noch endlos so weitergehen können.
Gespannt war ich als nächstes auf die Passage entlang des Beltringharder Koogs. Auf der Karte sieht man einen schmalen Weg, der links vom Meer und rechts von einer Salzwasserlagune gesäumt wird. In der Realität sah es für mich genauso aus wie vorher: links die Nordsee, rechts der Deich. Aber schön und imposant war es allemal.

Nachdem wir 46 Kilometer hinter uns hatten, hieß es, sich von der Deichlandschaft zu verabschieden. Unsere Strecke bog im 90°-Winkel rechts ab ins Landesinnere und führte uns auf direktem Weg zur Bahnstation in Langenhorn (Schlesw.), die ich als Endpunkt unseres ersten Teils der SH-Umrundung auserkoren hatte.
Die Bahn kam pünktlich um 12:45 Uhr und trotz der Durchsage, dass der Zug überfüllt sei, bekamen wir problemlos einen Platz für unsere Räder und Klappsitzplätze im Gang direkt daneben. Nach einigen ungeplanten Zwischenstopps und Wartezeiten, u.a. wegen verklemmter Türen und eines Polizeieinsatzes, erreichten wir Elmshorn.
Auf dem Bahnsteig war die Hölle los. Menschenmassen schoben sich hin und her. Geistesgegenwärtig dirigierte mich Michaela auf das Gleis gegenüber, wo eine verspätete Regionalbahn Richtung Hamburg wartete. Schnell schlüpften wir rein und hatten so die 23 Minuten Wartezeit, die wir in Elmshorn hätten haben sollen, rausgeholt.
Bis Prisdorf ließen wir uns von der Bahn fahren, dann stiegen wir aus und radelten die letzten vier Kilometer nach Hause.
Fazit zum ersten Teil unseres SH-Roundings: Das war ein echtes Erlebnis. Für uns erstmalig fünf Tage am Stück zu radeln war eine kleine Herausforderung, die durch den teilweise gemeinen Gegenwind recht anspruchsvoll war. Dafür wurden wir nahezu permanent mit einer wunderschönen Natur beschenkt und waren einen großen Teil der Zeit komplett alleine unterwegs. Ich freue mich schon darauf, wenn es für uns auf den zweiten Teil unserer Umrundung geht.
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