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30.03.2014  |  27. Hochbrueckenlauf  |  Kiel

Das Experiment
[von Bernd Hegemann]

Vor einigen Jahren begann meine Karriere als Leiter einer Laufgruppe während unserer alljährlichen Gemeindefreizeit. Völlig unvorbereitet traf ich dort auf Läuferinnen und Läufer, teilweise Anfänger, die ein für mich sehr gemächliches Tempo liefen und an das ich mich erst einmal gewöhnen musste. Irgendwann während dieser Läufe im Durchschnittstempo zwischen 6 und 8 Minuten pro Kilometer entwickelte sich die Frage, wie lange könnte ich in einem Tempo laufen, das mich von der Geschwindigkeit her nicht besonders anstrengt? Mit dieser Frage ging ich schon einige Zeit schwanger und ich war gespannt, welche Antworten ich heute bei meinem Experiment bekommen würde.

Das Wetter sollte laut Vorhersage richtig gut werden, aber davon war bei meiner knapp einstündigen Fahrt über die Autobahn nach Kiel-Projensdorf nichts zu bemerken. Bei 4 bis 5°C lag Nebelbank an Nebelbank mit Sichtweiten bis knapp an die 100 Meter, nur gelegentlich durchbrochen von halbherzigen Versuchen der Sonne, dort einzudringen.

In Kiel angekommen hatte sich keine Wetteränderung ergeben, so dass ich mich für lange Laufklamotten entschied. Die Idee dahinter war, wenn ich wirklich langsam laufen sollte, wollte ich nicht auskühlen, obwohl mir eine lange Hose schon mal ordenlich auf die Nerven gehen kann.

In der Turnhalle angekommen begrüßte ich erstmal meinen Kollegen Joachim. Ihn hatte ich auf der Arbeit angefixt, mitzulaufen und als in Kiel Ansässiger war er auch gleich begeistert von der Idee. Zwischen der Idee und dem Tag heute lagen etliche Wochen, die aber leider nicht so optimal zum Training genutzt wurden, so dass Jo einige Fragezeichen auf der Stirn standen, ob er denn die Kurzstrecke über 16,5 Kilometer heile überstehen würde. Um es vorweg zu nehmen, er hat es ohne bleibende Schäden in einer akzeptablen Zeit geschafft.

Um 9:40 Uhr verdrückte sich Joachim zum Start, ich trabte derweil ein wenig durch den Wald, um mich für meinen Start um 10 Uhr aufzulockern. Die Marschrichtung war klar, kein Kilometer unter 5:30 Minuten und immer so laufen, dass es sich nicht anstrengend anfühlt.

Vom Start am Ernst-Barlach-Gymnasium ging es zunächst durch das Waldgebiet um den Erlenkampsee. Die angekündigten 754 Starter knubbelten sich auf den schmalen Waldwegen und ich ließ mich mittreiben. Kilometer 1 lag bei 5:34 Minuten. Aus dem Wald raus ging es zunächst ein kurzes Stück durch ein Wohngebiet, um am Ende mit einen One-Eighty auf die Eckernförder Straße zu biegen. Hier begann die Vorbereitung auf die erste Querung des Nordostseekanals mit dem (moderaten) Anstieg zur Alten Levensauer Hochbrücke.

Die Nebelsuppe um uns rum war so dicht, dass man nicht bis aufs Wasser runterschauen konnte. Ein dicker Pott schob sich tutend unter der Brücke durch, aber für ein Foto hätte es nicht gereicht, was da schemenhaft zu erkennen war. Ungefähr hier hatte ich auch den Eindruck, einigermaßen frei laufen zu können. Die Menschenmassen um mich rum lösten sich langsam auf.

Danach fiel mir das rythmische Trommeln auf, auf das wir langsam zuliefen. Am ersten Verpflegungspunkt kurz vor Kilometer 6 hatte sich eine Truppe postiert, die mit ihrem Sound die Läufer kräftig anheizten. Jetzt aber nicht schneller werden. Stattdessen griff ich mir einen Becher warmen Tee, um das zuvor getrunkene Gel ein wenig zu verdünnen.

Von nun an ging es ins Kieler Hinterland, durch nebelverhangene Felder und ein paar kleine Ortschaften. Weil man nicht so weit kucken konnte, war es tendentiell etwas langweilig. Mein Tempo war wie geplant, obwohl die Oberschenkel etwas irritiert wirkten. Vermutlich, weil sie sonst andere Geschwindigkeiten gewohnt sind. Um die Langeweile zu vertreiben versuchte ich es mit Musik, musste dann aber enntäuscht feststellen, dass der frisch geladene Akku meines MP3-Players den Geist aufgegeben hatte und ich das gute Stück jetzt umsonst mitschleppen durfte.

Die nächste Ablenkung kam dann bei Kilometer zwölf in Form der zweiten Verpflegungsstelle. Vorher hatte ich mir einen leckeren halben Amerikaner reingepresst und war froh, mit Wasser und Tee ein wenig nachspülen zu können. Etwa zwei Kilometer lang war es wieder langweilig, bis ich heftiges Geschnatter hinter mir hörte.

Eine große Gruppe an Läufern überholte mich und ich entdeckte einen der zwei Brems-/Zugläufer für ein 6er-Tempo. Zuerst wollte ich sie ziehen lassen und mein eigenes Tempo laufen, aber dann entschied ich mich für die Abwechslung, reihte mich ein und lauschte den teils selbstzentrierten Gesprächen, die gelegentlich durchbrochen wurden von Fragen a la "Bist Du da und da schon gelaufen?" oder "Hast Du Dich da und da schon angemeldet?". Aber besser, als ganz alleine vor sich hinzurennen. Eigenen Gesprächsbedarf hatte ich derzeit keinen. Das Tempo war gut, zwar einen Hauch schneller als vorher aber der Puls blieb deutlich unter 140.

Beim Blick auf die Pulsuhr erinnerte ich mich an die Kampagne "Trimming 130" und dachte an die Momente, wo wir nach dem Laufen abprupt stehenbleibend mit der Hand am Hals auf unsere Uhren starrten, um unseren Puls zu messen. Bin ich froh, dass das heuzutage die Elektronik übernimmt.

Die Tempomacher hielten ein konstantes Tempo, immer leicht unter 6 Minuten. Jetzt kämpfte sich auch endlich die Sonne mit Macht durch und es wurde deutlich wärmer. Hinter Kilometer 18 stießen wir wieder auf den Nordostseekanal. Vor uns lag eine 4 Kilometer lange, wunderschöne Passage direkt am Wasser entlang. Zuerst unter der Levensauer und am Ende unter der Holtenauer Hochbrücke hindurch. Wie sich doch die Einstellung zur Strecke ändert, sobald die Sonne rauskommt ;-)

Für mich ein wenig überraschend, da ich die Strecke nicht kannte, bog unsere Gruppe links ab und wurde mit der heftigsten Steigung des Tages konfrontiert, dem Anstieg zur Holtenauer Hochbrücke. Die Tempomacher zockelten unbeeindruckt ihren 6er-Schnitt nach oben, während dahinter die Gruppe regelrecht auseinanderplatzte. Fast keiner der vormals lustig schnatternden Läuferschar hatte noch Kraft und/oder Luft, dem Läuferpaar mit den neongelben Reflektorwesten zu folgen.

Bei mir war die Kraft noch nicht verbraucht, so dass ich mich daran machte, die Lücke wieder zu schliessen. Neben mir lief ein Läufer, der ziemlich dick eingepackt war und ich schnackte ihn einfach mal an. Daniel hieß er und er bereitete sich auf seinen ersten Marathon vor, den er in Hamburg laufen wollte.

Als der höchste Punkt erreicht war, bot sich ein toller Blick Richtung Osten zur Schleusenanlage. Die Sonne knallte jetzt recht kräftig und nicht nur Daniel liefen in seinem Outfit Bäche von Schweiß am Kopf runter. Angenehm war das anschließende Bergablaufen, bei dem man die Beine ein wenig auslockern konnte. Ich wusste von einem Bericht, den ich im Internet gelesen hatte, dass im vor uns liegenden Wald noch die eine oder andere Rampe auf uns wartete.

Aber so schlimm war es denn doch nicht. Es ging zwar an ein paar Stellen knackig hoch, aber das waren nur kurze Stücke und da die Kraft noch reichlich vorhanden war, kein größeres Problem für uns. Daniel und ich liefen Seite an Seite, immer die Tempomacher im Visier, und ich muss sagen, dass sich das Gespräch, was sich entwickelte, einen angenehmen Tiefgang hatte, der zu fortgeschrittener Stunde eher unüblich ist.

Dank des Gespräches verliefen die letzten Kilometer wie im Fluge. Der zwischenzeitliche Check meiner Beine ergab weiterhin grünes Licht. Die Lockerheit war da und die Schmerzen, die ich bei höherem Tempo ertragen darf, waren kaum vorhanden. Mit einem Schnitt von 5:56,4 Min. ging der Lauf zu Ende und brachte die Erkenntnis, dass viel weniger weh tat, es noch weiter hätte gehen können und die nachgelagerten Schmerzen (Muskelkater/Überlastungssymptome) wesentlich schwächer waren als sonst.

Zur kompletten Bildergalerie geht es hier lang.


Höhenprofil

Wetter und Boden
[von Bernd Hegemann]
5°C, Nebel, Untergrund Asphalt, trocken
Ergebnis(se) in 2014
28,5 Kilometer
470. Bernd Hegemann   SG Gruner+Jahr   2:49:18 Std.   (5:56) 105.M45   78 % /85 %   
Ergebnisse zu dieser Veranstaltung in allen Jahren
28,5 Kilometer
308. Bernd Hegemann   SG Gruner+Jahr   2:39:34 Std.   (5:36) 53.M45   58 % /70 %   2016
470. Bernd Hegemann   SG Gruner+Jahr   2:49:18 Std.   (5:56) 105.M45   78 % /85 %   2014
Ergebnisse im Internet
[von Bernd Hegemann]
Link zur Homepage
[von Bernd Hegemann]
 
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