Erlebnisbericht: Rehabilitation
4 Uhr 25. Der
Radiowecker schnarrt und ich wache aus meinem unruhigen Halbschlaf auf.
Perverse Zeit zum Aufstehen, wo andere schön ausschlafen
können. Egal. Es ist alles schon für die Abfahrt vorbereitet,
sodass ich lediglich meine Standardnahrung einwerfen und mich anziehen
muss. Dann noch schnell das Rad aufs Auto und pünktlich um 5
geht's los.
Ich wähle für die Hinfahrt die (laut Internet) schnellste
Strecke quer durch Hamburg. Es ist noch dunkel und so gut wie kein Auto
unterwegs. Viele Ampeln sind abgeschaltet und gewähren mir freie
Fahrt. Am Ende von Hamburg geht es auf die Autobahn Richtung Berlin.
Die gleiche Strecke waren wir vor 3 Wochen bereits gefahren, als es in
den Urlaub nach Mecklenburg-Vorpommern ging und wo ich in Waren meine
letzte Mitteldistanz geloost habe. Ich schaue aus dem Fenster und es
graut dem Morgen, sorry, der Morgen ;-) Gemütlich fahre ich in die
aufgehende Sonne und denke an die gestrige Wettervorhersage auf RTL.
Teilweise Schauer und Temperaturen nicht über 20°C. Mal
schauen ob sie recht behalten. Auf jeden Fall werde ich heute keinen
Hitzschlag erleiden.
In Talkau geht es ab von der Autobahn auf die Bundesstraße nach
Ratzeburg. Nach einiger Zeit erreiche ich den Ort und versuche mich zu
orientieren. Ist das erste mal für mich in dieser Gegend. Doch
kein Schild oder
Hinweis, wo der Triathlon stattfinden soll. Aber da es ja mit dem
Schwimmen losgeht, muss es ja irgendwo am Wasser sein und so folge ich
einer erfolgversprechend aussehenden Straße Richtung Ortsmitte.
Und richtig geraten, ich entdecke in einer Kurve das Gebäude zum
Abholen der Startunterlagen. Klaus meinte, die wären hier ganz
extrem bei der Ausgabe und würden nach Strasse und Hausnummer
fragen. War bei mir aber nicht der Fall. Nur den DTU-Pass wollten sie
sehen. Aber ein Kollege neben mir durfte trotz Vollmacht nicht die
Unterlagen seines Kumpels mitnehmen. Strenge Sitten.
Auf jeden Fall gibt es das streckenneutrale, dunkelblaue T-Shirt
bereits
vorab mit den Startnummern, dem Transponder, der Duschwertmarke, der
Badekappe und einem (für mich) nutzlosen Rabattgutschein eines
ortsansässigen Sportgeschäftes. Selbst die Rahmennummer ist
zweigeteilt: eine für den Rahmen und die andere, die man
hübsch aufbewahren sollte, weil sie einen für die Abholung
des Fahrrades legitimiert. Man erkennt schon jetzt die 20-jährige
Erfahrung bei der Ausrichtung eines solchen Events.
Anschließend suche ich mir einen nah gelegenen Parkplatz.
Triathleten sind ja im Grunde genommen faul und versuchen so wenig
unnötige Wegstrecke wie möglich zurückzulegen ;-) Es ist
ein Vorteil, so früh zu starten. Da hat man echt keine
Parkplatzsorgen. Ein paar Minuten später entdecke ich 3 meiner
Vereinskollegen vom VfL Pinneberg und wir schieben vollbepackt unsere
Räder in die Wechselzone.
Dort herrscht bereits reges Treiben, aber nur unter den
Mitteldistanzlern, da diese in 3 Wellen um 7:40 Uhr, 7:50 Uhr und 8:00
Uhr starten. Ich werde in der letzten Gruppe sein, zuerst starten die
Frauen und die "alten Männer", danach die 40-jährigen und
dann die jungen Spunde. In der Wechselzone gibt es ein geordnetes
Chaos. Nur die einzelnen Wettbewerbe, Mitteldistanz, olympische Distanz
und Volksdistanz sind voneinander getrennt. Jeder kann sein Rad in
seinem Bereich also dort abstellen, wo es ihm passt. Ich suche mir eine
angenehm breite Lücke, lasse die elendig schwere Tasche auf den
Rasen plumpsen und hänge mein Rad auf das Gestänge.
Dann beginne ich damit, die Radflaschen in der vorher festgelegten
Reihenfolge zu befüllen. Ich habe mich entschieden, annähernd
die gleiche Trinkreihenfolge zu wählen, wie in Harsewinkel, da es
dort ziemlich gut geklappt hat. Also bekommt die Radflasche am Lenker
LongEnergy von Isostar eingefüllt. Gut, dass es den Wespen noch zu
kalt ist. Alles andere ist auch soweit schnell erledigt, so dass ich
mich anschließend langsam auf den Weg zu ersten Schwimmstart
mache, wo schon ein paar meiner Kollegen ins Wasser hüpfen
dürfen.
Der Schwimmstart liegt an einer sandig-flachen Stelle am
Küchensee, wobei man direkt an der Wassergrenze am Strand steht
und dann hineinwaten muss. Danach geht es in einer gebogenen 90°
Kurve nach rechts (optimal anstelle eines rechten Winkels, wo es immer
zu Engpässen kommt) auf eine knapp 1000m lange Gerade, wo am Ende
gewendet werden muss um die gleiche Strecke zurückzuschwimmen.
Nachdem die erste Gruppe ausser Sichtweite ist, mache ich mich auf, um
meinen Neo anzuziehen und den Rest der Schwimmutensilien zu holen.
Bereits jetzt leide ich unter Atemnot, weil der Neo wohl im Laufe der
Zeit kleiner geworden sein muss ;-) So watschle ich dann Barfuss
zurück zum Schwimmstart, um die zweite Gruppe zu beobachen. Mit
weissen Badekappen, statt der orangenen im 1. Lauf, stürzen sie
sich in die Fluten.
Diesmal mache ich es besser als noch 3 Wochen zuvor in Waren, schwimme
mich vernünftig ein und justiere meine Schwimmbrille. Hier wird
mir ein weiterer Fehler bewusst, der mir in Waren passiert war.
Aufgeheizt durch die Sonne und ohne einzuschwimmen bin ich in die
Müritz gesprungen. Das kalte Wasser verursachte kurzzeitige
Atemnnot, was die Panik bei mir noch verstärkt hat. Daneben kommt
es bei zusätzlich höherem Puls zu der Situation, dass ein
ausgelassener Atemzug (z.B. wegen Wasserschluckens) die Panik noch
verstärkt.
Kurze Zeit später werden wir aus dem Wasser zitiert, um uns an der
Startlinie aufzustellen. Diesmal bin ich total ruhig und entspannt. Gar
nicht aufgeregt. Der Countdown erfolgt und pünktlich um 8 Uhr
reißen die Helfer das uns zurückhalte Flatterband nach oben
und geben den Weg frei zum 20. Ratzeburger Inseltriathlon. Ich wate
vorsichtig ins Wasser. Es ist angenehm warm. Ich schätze mal so um
die 19-20°C. Es wir schnell tiefer, so dass ich mich ins Wasser
gleiten lasse. Als Rechtsathmer habe ich mich links eingereiht und
versuche nun eine gute Position zu erlangen. Keiner bedrängt mich,
alles geht gesittet ab. Jetzt nur nicht versäumen, nach rechts
einzubiegen.
Weiter geht's. Vor uns liegt die lange Gerade. Ich versuche die
Füße eines vor mir Schwimmenden zu erspähen, um mich
hinten reinzuhängen. Da das Wasser verdammt klar ist, fällt
es mir leicht jemanden zu finden. Leider scheint der nicht ganz so
erfahren zu sein und macht immer wieder Brustzüge, wenn er sich
orientieren will. Dass bringt mich aus dem Rythmus. Neben uns zieht
eine Gruppe vorbei und ich versuche, mich dort einzureihen. Das klappt
schon etwas besser, obwohl ein Tempo geschwommen wird, dass ich nur mit
Mühe halten kann.
Unter mir zieht ein riesiger Urwald aus grün-braunen
Wasserpflanzen vorbei. Irgendwie gespenstig. Ich habe Schwierigkeiten,
das Tempo zu halten. Immer wieder entsteht eine Lücke, die ich
zuschwimmen muss. Das macht auf Dauer keinen Spass, zumal ich
doch ganz locker schwimmen wollte und wir erst ein Viertel der
Schwimmstrecke hinter uns haben. Ich erspähe einen Schwimmer neben
uns, der ein bisschen langsamer ist als meine Gruppe. Ich lasse mich
ein wenig zurückfallen und hänge mich in seinen
Wasserschatten. Optimal. Mein Vordermann schwimmt ein Tempo, bei dem
ich gut mithalten kann, ohne mich übermässig anzustrengen.
Hoffentlich verliere ich ihn nicht bei der bald kommenden Wendeboje.
Meine Schulter streift eine kleine gelbe Begrenzungsboje. Die hatte ich
gar nicht kommen sehen. Sie zeigt mir aber, dass wir nahezu auf
Ideallinie liegen. Vor der Wendeboje bildet sich vor mir eine eine
ruppige Gruppe von 3 Schwimmern nebeneinander. Ich halte mich dahinter,
blicke nach rechts hinten, wo niemand zu entdecken ist. Also kein
Problem für mich, rechts um die Wendeboje zu schwimmen und den mir
angestammten Platz einzunehmen. Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigt mir
18:14 Minuten. Na dann kann es ja noch eine 37er Zeit werden, zumal ich
obschon locker doch die zurückgelegten Schwimmmeter merke.
Vielleicht 400m halte ich mich noch hinter meinem Vordermann auf, aber
irgendwie verliere ich ihn dann doch. Bin wohl etwas langsamer
geworden. Oder er schneller. Ich mache mich auf die Suche nach einem
neuen "Schwimmpartner". Ich sehe ein paar weisse Badekappen. Wir haben
die letzten der vor uns gestarteten Gruppe eingeholt. Neben mir
erspähe ich einen rotrückigen Orca, der mir für mein
Vorhaben geeignet erscheint. Ich hänge mich hinter ihn und merke,
dass er irgendwie zick-zack schwimmt. Ich habe Schwierigkeiten, ihm zu
folgen, sehe aber immer noch die Blasenspur, die er im Wasser
hinterlässt, mal rechts von mir, mal links von mir.
Irgendwann muss es doch so langsam vorbei sein. So richtig viel Lust
habe ich nämlich nicht mehr aufs Schwimmen. Ah, da ist ja wieder
der Wasserpflanzenurwald unter mir und rechts kann ich die
250m-Wendeboje der Volksdistanzler erkennen. Ich versuche mal nach
vorne zu schauen (etwas, was ich die ganze Zeit so gut wie gar nicht
getan habe) und unterlasse es, da wir jetzt genau in die aufgehende
Sonne schwimmen und rein gar nichts zu sehen ist. Also versuche ich, so
gut es geht voranzukommen. Eine Schwimmpflanze wickelt sich um mein
rechtes Handgelenk und lässt mich schaudern. Auch die
Sträucher des Ufers auf der linken Seite kommen irgendwie immer
näher.
Auf
einmal
höre
ich
eine
Stimme neben mir. "Jetzt links raus"
ertönt es. Ich schaue hoch, sehe einen Kajakfahrer und direkt vor
mir den Ausstieg. Wo der Puls beim schwimmen noch angenehme 148
Schläge hatte, verursacht die Änderung der Köperlage in
die Senkrechte mit folgendem Spurt zur Zeitnahme ein Hochschnellen auf
knappe 160, die mich kurzathmig werden lassen. Nach 35:19 Minuten werde
ich registriert. Wow, so schnell kann ich schwimmen, wenn
es
gut
klappt.
In der Wechselzone gibt es nichts besonderes zu vermelden. Nach 3:14
Minuten verlasse ich sich sie mit staksigen Laufschritten. Mit
Radschuhen einigermassen schnell zu laufen muss total bescheuert
aussehen. Ich schwinge mich auf's Rad, biege nach rechts und versuche,
mich langsam einzurollen. Doch bereits nach gut 300m kommt ein etwa 30m
langes, extrem holpriges Kopfsteinpflasterstück, dass mich auf
knapp 0 km/h abbremsen lässt und mich aufs heftigste
durchschüttelt. Überall sieht man verschiedene Utensilien
verteilt, von der Banane über Power Bars und Tüten mit
Ersatzschläuchen. Weiter geht's.
Um auf die
erste von zwei Radrunden zu kommen muss man auf dem Hinweg erst mal
eine ganz fiese Steigung hochkurbeln. Da bekommt der eine oder andere
bereits jetzt einen roten Kopf. Ich habe mir vorgenommen, das Radfahren
verhaltener anzugehen, als noch vor 3 Wochen in Waren, als mir die
Hitze und das hohe Tempo ordentlich zugesetzt hatten. Versuch Dich
diesmal so wenig wie möglich anzustrengen, sage ich zu mir.
Der weitere Verlauf der Radstrecke ist gekennzeichnet durch ein
permanentes Auf und Ab. Nicht wie in Harsewinkel, wo die Radstrecke ein
einziges Flachstück ist und nicht wie in Waren, wo langgezogene
Wellen zu finden sind. Immer wieder kurze Huppel lassen keinen
rollenden Rythmus zustandekommen. Es geht zunächst Richtung
Schmilau und weiter nach Mölln. Ich fahre durch ein langes
Waldgebiet und genieße die klare, herrlich riechende Waldluft. So
macht Triathlon echt Spass!
Es geht weiter durch Brunsmark. Ich denke an meinen Kumpel Michael. Was
der wohl jetzt zur Vorbereitung auf den Soester Stadtlauf so treibt? In
Sterley gibt es Verpflegung, die ich dankend ablehne. Habe alles
notwendige am Mann. Schon bei Kilometer 10 habe ich begonnen,
selbstgebackenen Reiskuchen, den ich vorzüglich vertrage, zu essen
und dabei LongEnergy zu nuckeln.
Es geht durch Dargow und der Belag wird rauher. Er massiert einem
kräftig den unter Blutarmut leidende Genitalbereich. Weiter geht
es nach Bresahn. Hier riecht es ganz penetrant und intensiv nach
Bauernhof, so dass ich froh bin, den Ort wieder zu verlassen. Kurz vor
Kittlitz, etwa bei Kilometer 30 ist meine Trinkflasche bereits leer.
Ich will sie neu befüllen, aber im Ort muss erst noch eine
erwähnenswerte Steigung bewältigt werden. Vor mir fährt
die Nummer 228 und geht schwankend aus dem Sattel. Ich muss schmunzeln
und denke "Flachlandtiroler". Im Sattel sitzen bleibend schalte ich auf
meinen kleinsten Gang, kurbele ganz entspannt an meinem schnaufenden
Kontrahenten vorbei und habe ihn dann nicht mehr wiedergesehen.
Danach
befülle ich dann mit einem gekonnten Balance-Akt meine
Lenkerflasche neu. Diesmal mit wässriger
Natrium-Chlorid-Lösung, sprich Appolinaris. Habe ich mir extra
wegen des hohen Salzgehaltes gekauft. Die ersten Schlucke sind ganz
schön gewöhnungsbedürftig, wenn man sonst nur
natriumarmes Wasser trinkt. Aber hier heiligt der Zweck die Mittel. Zum
Ende der ersten Runde ziehe ich Bilanz. Ich fühle mich gut und bin
absolut zuversichtlich, was die kommende Runde betrifft.
Ich komme an einem Pflegeheim vorbei. Zehn bis zwölf Behinderte
sitzen in Rollstühlen oder stehen am Straßenrand und
applaudieren. Ich winke dankend zurück, lächle und muss
innerlich schlucken. In solchen Momenten wird einem das eigene Ich und
seine Lebenssituation ganz besonders bewusst. Doch da werde ich
abgelenkt. Eine Wespe fliegt mir an den Hals, prallt ab und fällt
irgendwo nach unten. Jetzt bloss nicht so ein Vieh ins Trikot bekommen.
In schmerzhafter Erinnerung ist mir der Stich während des Urlaubs,
als sich ein solches Insekt in meiner Bauchfalte verewigt hatte.
Die zweite Runde geht dann auch recht unspäktakulär zu Ende.
Auf dem Rückweg nach Ratzeburg meint ein mich Überholender,
dass die Kilometer-Schilder auf der Radstrecke wohl nicht ganz richtig
standen (sie standen alle 5 Kilometer, was beim Triathlon nicht
selbstverständlich ist) und dass die in der Ausschreibung
genannten 85 Radkilometer doch wohl 88 km waren. Mir soll es recht
sein. Nach 2:55:40 Stunden stoppe ich meine Radzeit. Mal die 88 km
zugrundegelgt kann ich mich über den Schnitt von 30,1 km/h nicht
beschweren (wenigstens eine 3 vorne ;-). 445 Höhenmeter habe ich
dabei überwunden. Wichtig für mich, ich habe keine
Magenschmerzen, wie im Juni in Harsewinkel und bin noch ganz fit
für die Laufstrecke.
Und das die es in sich haben solle, hat mit mein Schwimmkollege Heinz
bereits vorher verraten. Aber man glaubt es ja meistens erst, wenn man
es selbst gesehen hat. Die Wechselzone in 2:32 Minuten hinter mir
gelassen mache ich mich mit voller Blase auf die 10 km-Runde um den
Küchensee, die zweimal zu laufen ist. Als das Publikum hinter mir
verschwindet, schlage ich mich in die Büsche, um mich zu
entleeren. 30 Sekunden Zeitverlust ist zu verschmerzen. Am Ende der
langen Geraden kommt ein Knick, der gleich mal steil in die Höhe
geht. Nur auf Zehenspitzen komme ich einigermassen zügig hoch. Ein
Hinweis auf noch kommendes?
Der erste
Kilometer steht mit 4:14 Minuten auf der Uhr. Nachtigall, ich hör
Dir
trapsen. Wenn so etwas passiert, sprich wenn ich eine 30sekündige
Pause mache und trotzdem in 4:14 Minuten durchlaufe, dann stimmt was
nicht mit der Position der Schilder. Und daher werde ich mich auf
dieser Strecke nicht weiter auf absolute Zeiten verlassen und hoffe
nur, dass die 10 Kilometer wenigstens von der Länge her passen.
Bei Kilometer 2 kommt die
erste Kontrolle und eine Verpflegungsstelle. Nebenbei bemerkt geht es
auch hier verdammt kräftig bergauf und wir laufen mittlerweile nur
noch auf unbefestigten Waldwegen.
Ich nehme einen Becher mit Wasser, gehe ein steiles Stück und
trinke dabei. Hunger habe ich keinen und auch keine Lust etwas zu
essen. Die 20 Kilometer wird es schon reichen. Ich fühle mich
ziemlich gut. Bei Kilometer 3 kommte das härteste, weil
längste Steigungsstück. Ich beginne, die harte Strecke
richtig gut zu finden. Jörg, der in der Endabrechnung den 4.
Gesamtplatz belegen wird ist bereits auf seiner zweiten Laufrunde,
muntert mich auf und fliegt an mir vorbei, während ich noch mit
dem Berg kämpfe.
Immer wieder tauchen vor mir andere Läuferinnen und Läufer
auf, die ich mühelos passieren kann. Keiner zeigt Gegenwehr und
ist nur mit sich selbst beschäftigt. Kurz vor Kilometer 5 ist die
Kontrollstelle mit Transpondercheck und eine weitere
Verpflegungsstelle, die ich diesmal auslasse. Ich sammle immer mehr
Triathleten ein und komme regelrecht in einen Rausch. Die Zeiten auf
der Uhr nehme ich nur nebenbei wahr. Immer noch geht es hoch und runter
durch den Wald, während ich so meine Studien über
unterschiedlichste Laufstile betreibe. Eine Athletin überhole ich,
die mit fast 90° abgewinkelten Armen läuft. Ein anderer
ähnelt mehr dem Glöckner von Notre Dame als einem laufenden
Triathleten. Schon interessant, was einige ihrem Körper so alles
abringen.
Hinter Kilometer 7 kommt die nächste Verpflegungsstelle, die ich
wieder ignoriere. Ebenso, wie die ersten Ermüdungssignale meines
Körpers. Kurz vor Kilometer 9 geht es von einem schmalen
Trampelpfad kommend direkt auf einen Fussweg an einer Strasse entlang,
wo viele Autos im Stau stehen. Wahrscheinlich wegen uns, hi,hi. Ich
laufe Richtung Ziel, komme am Restaurant "Der Seehof" vorbei, wo ein
"herrlicher" Fischduft in der Luft wabert. Mir wird schlecht. Schnell
weiter.
Die erste Runde habe ich in 46:08 Minuten absolviert, was mir in diesem
Augenblick gar nicht bewusst ist, weil mir das Rechnen
schwerfällt. Ich meine zu wissen, dass die Zeit für meine
Verhältnisse und die schwere Strecke ziemlich gut sein muss. Doch
leider geht es mit diesem Schwung nicht weiter. Mein Körper
lässt stärker nach, als ich es will.
Bei Kilometer 12 nehme ich nochmal Wasser und stiefele den Berg hoch.
Ich möchte lieber gehen, aber irgend etwas treibt mich an,
weiterzulaufen. Bei den Steigungen habe ich das Gefühl, eine
unsichtbare Hand schiebt mich das letzte Stück bis zur Kuppe.
Bergab lasse ich mich nur noch trudeln und fühle
mich
total
leer.
Bei
Kilometer 15 bekomme ich auch noch waschechtes Magenknurren. Ach,
nee. Nicht jetzt. Die letzten 5 km müssen auch noch ohne gehen. Tun
sie
aber nicht.
Ich mag das Gefühl eines kneifenden Magens nicht besonders, vor
allen Dingen nicht, wenn ich dann noch dabei am Limit laufen soll. Was
soll ich jetzt machen? Bei Kilometer 16 habe
ich
endlich
die
Antwort.
Meeensch, Du hast doch noch Power-Gel in Deiner Trikottasche. An einer
Steigung verfalle ich ins Wandern, fummle die Tüte
raus und
drücke mir in zwei großen
Schüben die schmierige, nach
Vanille schmeckende Masse in den Mund. So, der Magen hat was zu tun,
der lässt mich ab jetzt hoffentlich
in Ruhe zu Ende laufen.
Und wie ich den 18. Kilometer so vor mich
hinvegetiere, merke ich,
wie das Leben in meinen Körper zurückkommt. Erst langsam,
dann immer heftiger. Als wenn man bei einer Spielzeugmaus die Feder neu
aufgezogen hätte. Die vor mir laufenden werden wieder zur Beute.
Ich schaffe es, noch zwei von ihnen zu überholen, als es wieder
auf den Fussweg Richtung Ziel geht. Hinter mir im Schlepptau ein
Läufer der olympischen Distanz, der langsam an mir vorbeizieht.
Kein Probelm für mich. Ich genieße den Zieleinlauf in vollen
Zügen, freue mich und drücke nach 5:16:16 Stunden
endgültig auf meine Stoppuhr.
Untenstehend meine Splitzzeiten beim Laufen, für alle, die es
interessiert:
km |
1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
6 |
7 |
8 |
9 |
10 |
Ges. |
1.
Runde |
4:14 |
4:57 |
4:16 |
4:14 |
4:41 |
4:31 |
4:24 |
5:26 |
4:03 |
5:22 |
46:08 |
2.
Runde |
5:35 |
5:39 |
4:53 |
4:59 |
5:33 |
5:24 |
5:38 |
6:52 |
4:30 |
4:20 |
53:23 |
|
|
|
|
|
|
|
|
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|
|
1:39:31 |
(Insgesamt 160 Höhenmeter)
|
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