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31.12.2019  |  Jahresfazit 2019

Die Altlast
[von Bernd Hegemann]
Wie schon im ersten Teil meiner "Herzensangelenheit" berichtet, hatte ich mich im September 2018 einer OP unterzogen, um mich mittels Katheter-Ablation von meinen lästigen Herzrythmusstörungen zu befreien. Der erste Wettkampf zwei Monate danach war ernüchternd, da ich erneut Herzstolpern registrierte.

Am 5. Januar diesen Jahres startete ich einen weiteren Versuch, meine Leistungsfähigkeit zu testen. Beim Betriebssport-Corsslauf im Volkspark (Süd) hatte ich mir die Langstrecke ausgesucht. Und zu meiner Überraschung klappte es pulsmäßig wunderbar. Keine Stolperer waren spürbar und auf meiner Aufzeichnung zu erkennen. So konnte es gerne weitergehen.

Nur leider war das ein kurzes Highlight, denn beim folgenden Crosslauf im Volkspark-Nord kam es knüppeldick. Ich hatte mich für die Kurzstrecke um 14 Uhr angemeldet, um ein etwas höheres Tempo zu testen. Aber während es nach ein paar Hundert Metern die erste Rampe hoch ging, fingen wieder meine Herzrythmusstörungen an. Und dieses Mal bekam ich sie trotz Gehpause nicht so einfach wieder eingefangen. Daher brach ich den Lauf ab und ging enttäuscht zurück zum Start. Mittlerweile war die Attacke vorüber, weswegen ich mich entschied, um 14:45 Uhr wenigstens die Langstrecke mit verringertem Tempo zu versuchen. Aber auch hier der gleiche Effekt. An der ersten Rampe kam das Herz aus dem Takt und es brauchte etwas, bis es sich wieder beruhigt hatte. Und natürlich erst, nachdem ich den Lauf abgebrochen hatte.

Das war echt ernüchternd, aber ich wollte es weiter probieren. Ende Februar ging es mit Jan zum Straßenlauf-Cup nach Langenrehm über 10 Kilometer. Gleich nach dem ersten Kilometer knallte der Puls durch die Decke und wollte sich gar nicht mehr beruhigen. Alle anderen an mir vorbeiziehend hatte mich schon entschieden, zum Start zurückzugehen, als der Puls ein Einsehen hatte. Daher machte ich auf dem Absatz kehrt und begann ganz vorsichtig dosiert das Feld von hinten aufzurollen. Ein bissschen besser als der vorige Versuch war es dieses Mal schon, aber trotzdem war ich mit dem Ergebnis nicht zufrieden.

Einen Monat später waren Jan und ich wieder im Forst Rosengarten, wo ich erstmalig nach der OP versuchen wollte, einen Halbmarathon zu laufen. Hat letztendlich auch geklappt. Die erreichten 1:57 Std. waren ok, aber leider gabs auch fünf kleinere Stolperer dazwischen, die ich wegwandern musste. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge fuhr ich nach Hause. Zwar war ich erleichtert, mal wieder was Langes durchgestanden zu haben, aber das mittlerweile immer häufiger auftretende Stolpern machte mir zusehends Sorgen. Ich hatte inzwischen die Hoffnung aufgegeben, dass es sich um eine Nachwirkung der OP handelte, die im Laufe der Zeit besser werden könnte.

Die nächste Station war Anfang April im Niendorfer Gehege, wo ich die Mittelstrecke mitlief. Ich versuchte eine andere Taktik, in dem ich langsamer startete und versuchte, das Tempo moderat zu steigern. Das klappte am Anfang auch ganz gut, bis es dann auf der Hälfte irgendwann kippte und ich eine Attacke wieder konsolidieren musste. Trotzdem schaffte ich es danach, dass Tempo gut aufzunehmen und hochzuhalten.


Mein Jahreshighlight war der Langstreckentag bei der Hamburgiade im Mai. Zusammen mit einer Reihe weiterer "Bekloppter" rannten wir auf der Jahnkampfbahn wie verrückt im Kreis. Die einen liefen einen ganzen Marathon, ich selbst behielt mir die halbe Distanz vor. Das Gute war, dass ich auf der 400m-Bahn wunderbar mein Tempo dosieren konnte. Was mich aber nicht davon abhielt, nach gut eineinhalb Stunden eine kurze Gehpause einzulegen. Warum wohl? Am Ende war ich froh, zum einen meine Zeit aus Februar um viereinhalb Minuten zu verbessern und mangels Masse sogar eine Bronzemedaille abstauben zu können.

Was mir zusehends die Sorgenfalten auf die Stirn trieb, war die Tatsache, dass die Herzrythmusstörungen nach der OP nicht wirklich besser geworden waren. Ja, das "Tickern" war nicht mehr da, aber die Einschläge unter Belastung kamen jetzt immer häufiger und bei wesentlich geringerer Belastung als vorher. Und mein neuer Kardiologe war auch keine wirkliche Hilfe, weil der schulterzuckend sagte, dass er eine Aufzeichnung der Störung benötige, bevor weitere Schritte eingeleitet werden können.

Beim Stichwort Aufzeichnung muss ich sagen, dass ich mir große Mühe gegeben habe. Drei 24h-EKGs hatte ich bereits umgeschnallt bekommen. Diese dienten der Nachsorge und Kontrolle nach der OP. Ich versuchte bei jedem Mal, eine Laufeinheit zu absolvieren und dabei eine Herzrythmusstörung herauszukitzeln. Aber es gelang mir einfach nicht. Vielleicht war ich im Training weniger aufgeregt als in Wettkämpfen. Das konnte aber nicht sein, denn im Training traten die Probleme nun auch verstärkt auf.

Daher dachte ich, es wäre schlau, ein 24h-EKG unter Wettkampfbedingungen durchzuführen. Ich legte den Termin extra auf einen Mittwoch, bei dem ich 3.000 Meter im Betriebssport auf der Bahn rennen wollte. Hier war die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, etwas aufzeichnen zu können. Am Morgen bekam ich allerdings einen Anruf vom Arzt, dass das Gerät kaputt sei und ich einen anderen Termin nehmen müsse. Tolle Wurst, da nutzt auch die beste Planung nichts.

Der Ersatztermin sollte dann am 12. Juli stattfinden. Das war ein Freitag. Mittags wurde ich verkabelt und sollte das Gerät am Samstag selbstständig abnehmen und am Montagmorgen zurückbringen. Blöd nur, dass in dem Zeitraum kein Wettkampf anstand. Trotzdem versuchte ich, das Beste aus der Situation zu machen. Von Vorteil war, dass ich bei dieser Konstellation in der Lage war zwei Laufeinheiten in die Messung zu quetschen. Die Erste machte ich gleich am Freitag und versuchte über verschiedenste Tempowechsel und teils hohe Geschwindigkeiten den Puls so zu beeinflussen, dass er aus dem Takt kam. Aber da war nichts spürbar und auch meine Aufzeichnung am Handgelenk zeigte eine unbeeindruckte Pulskurve.

Den zweiten Versuch startete ich am Samstagmorgen und fuhr dafür extra zum Waseberg nach Blankenese. Dort war vor Kurzem bei einer Trainingsanheit bergauf mein Herz aus dem Tritt gekommen, so dass ich versuchen wollte, das zu reproduzieren. Leider war ich aufgrund der Einheit tags zuvor etwas platt, so dass ich nicht die Belastung abrufen konnte, die ich mir vorgestellt hatte. Aber an einer kleinen Stelle hatte ich für ein paar Sekunden den Eindruck, Herzstolpern gespürt zu haben und versuchte mir, den Zeitpunkt so genau wie möglich zu merken. Auf der Aufzeichnung am Handgelenk konnte ich natürlich nichts erkennen, hatte aber die Hoffnung, dass das EKG es eingefangen hatte.

Nach etwa einer Woche hatte ich die Besprechung beim Kardiologen und halleluja, es war auch etwas Brauchbares aufgezeichnet worden. Sowohl an dem Freitag, als auch am Samstag, als ich es leicht gespürt hatte. Daher schickte mich der Doc gleich in die Kardio-Sprechstunde im Albertinen-Krankenhaus. Dort schaute sich die Spezialistin die Kurven lange an und meinte, dass sie zwei verschiedene Rythmusstörungen erkennen könne. Eine komme wohl aus dem Vorhof und eine könne sie nicht wirklich einordnen. Hmm, was sollte mir das denn jetzt sagen? War die OP im letzten Jahr nicht 100%ig geglückt und störte noch eine Restaktiviät mein Herz oder handelte es sich um die Altlast, die ich schon seit vielen Jahren mit mir rumschleppe und die sich jetzt weiter verschlechtert? Und warum zwei unterschiedliche Arten? Die Ärztin konnte es nicht erklären und empfahl eine erneute OP.

Am 20. August war es dann so weit. Fast ein Jahr nach der letzten OP lag ich wieder "unterm Messer" und ließ die Prozedur über mich ergehen. Hinterher sagte man mir, dass sich die Kontrolle des linken Vorhofs, wo mein Vorhofflimmern korrigiert worden war, völlig unauffällig zeigte. Stattdessen hatte man im rechten Vorhof eine kleine Stelle entdeckt, die auf Stromimpulse positiv reagierte. Der Ort sei recht untypisch, aber sehr einfach zu veröden gewesen. Das war alles. Nur ein kleiner "Lötpunkt", das wars. Demzufolge fühlte ich mich nach der zweiten OP auch wesentlich fitter und dachte nach dem Aufwachen, sie hätten überhaupt nichts gemacht.

Nach der OP startete ich mein gewohntes Programm, d.h. 14 Tage die malträtierte Leiste abheilen lassen und dann langsam wieder ins Training einsteigen. Und schon bei den ersten Laufversuchen merkte ich, dass etwas anders war als vorher. Zwar hatte ich ab und zu noch ein Gefühl, was in der Vergangenheit Stolperer ausgelöst hatte. Aber dieses Gefühl bewirkte nun nichts mehr. D.h., dass seit der zweiten OP meine Herzrythmusstörungen ad acta gelegt waren. Das bestätigte eine Leistungsdiagnostik Mitte Oktober bei meinem Kardiologen. Dort konnte ich mich bis zum Anschlag ausbelasten, ohne dass irgendwelche Probleme auftraten.

Spannend war für mich dann wieder der Einstieg ins Wettkampfgeschehen, was analog dem letzten Jahr auf der Horner Rennbahn stattfand und da noch mit einer Stolperattacke versehen war. Und in diesem Jahr klappte es wunderbar. Kein Stolperer mehr und ich konnte mich wieder so belasten, wie es eigentlich sein soll. Weitere Tests über die Kurzstrecken im Tangstedter Forst und im Stadtpark bestätigten den Erfolg der Eingriffe.

Ich muss zwar sagen, dass ich die letzten zwei Jahre konditionell einiges eingebüßt habe und durch die OPs mein Maximalpuls um 20 Schläge gesunken ist, während mein Ruhepuls um 10 Schläge nach oben ging. Trotzdem bin ich total froh und dankbar über den positiven Ausgang und freue mich über jede Einheit und jeden Wettkampf, den ich seitdem ohne Beeinträchtigungen absolvieren konnte.
 
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